Objekt- und Fotodatenbank Online im Museum in der Runden Ecke



Inventar-Nr: 17453
Objekt: Handzettel


Flugblatt mit einem Aufruf des Neuen Forums zur Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 in Leipzig (Aufruf zur Gewaltlosigkeit)

Dieses Flugblatt verteilten Mitglieder des Neuen Forums während der Friedlichen Revolution im Herbst ´89 auf der Leipziger Montagsdemonstration am 9. Oktober. Sie wandten sich damit an die Demonstranten um für ein friedliches und gewaltfreies Handeln aufzurufen. Dieser Tag, der als "Tag der Entscheidung" in die Geschichte einging, läutete das Ende der SED-Diktatur und gleichzeitig auch der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ein. Der Text wurde auf einer Schreibmaschine erstellt und auf einem Schablonen-Vervielfältiger in größerer Stückzahl hergestellt (Schablonenabzug). Während des weiteren Verlaufs der Friedlichen Revolution richtete das Neue Forum diesen Aufruf zur Gewaltlosigkeit immer wieder an die Teilnehmer der Montagsdemonstrationen (vgl. einen Aufruf vom 10. November 1989).

Nicht nur das Neue Forum, Personen aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft setzten sich am 9. Oktober 1989 für die Verhinderung von Gewalt ein. Aus großer Sorge um den Ausgang des Abends produzierten Leipziger Basisgruppen um Pfarrer Christoph Wonneberger noch am Wochenende illegal etwa 30.000 Flugblätter mit einem Aufruf zur Gewaltlosigkeit, der sich an Demonstranten und Einsatzkräfte richtete. Sie verteilten diese am Montag vor und während der Demonstration. Auch an der Nikolaikirche prangte ein Banner, das zur Gewaltlosigkeit aufrief. Vier Leipziger Kirchen waren an diesem Montag für Friedensgebete geöffnet. In allen forderte Bischof Dr. Johannes Hempel aus Dresden die Besucher zur Friedfertigkeit auf. Er und die Pfarrer kamen aber nicht der Bitte des Staates nach, sich gegen die Demonstration auszusprechen. Gewandhaus-Kapellmeister Professor Kurt Masur verfasste zusammen mit dem Kabarettisten Bernd-Lutz Lange und dem Theologen Dr. Peter Zimmermann sowie drei Sekretären der SED-Bezirksleitung Leipzig einen Aufruf zur Besonnenheit, der am frühen Abend in den Kirchen, im Stadtfunk sowie dem Sender Leipzig verlesen wurde (Aufruf der "Leipziger Sechs"). Am Nachmittag des 9. Oktober bezogen die vorbereiteten bewaffneten Sicherheitskräfte (Volkspolizei, Angehörige der Kampfgruppen und NVA-Einheiten) ihre Einsatzräume. Ungeachtet aller offenen und verdeckten Drohungen sammelten sich unterdessen tausende Protestierende in der Stadt. Als die Friedensgebete beendet waren, formierte sich auf dem Karl-Marx-Platz (heute Augustusplatz) ein Demonstrationszug, welcher sich zwischen 18:30 Uhr und 18:45 Uhr in Richtung Hauptbahnhof zu bewegen begann. Eine immer größer werdende Menschenmenge quoll aus dem Stadtzentrum auf den Ring. Der zuständige Leipziger SED-Sekretär Helmut Hackenberg wagte es nicht, die Verantwortung für ein mögliches Blutbad zu übernehmen. Die ihm als Vorsitzendem der Bezirkseinsatzleitung (BEL) unterstellten Einsatzkräfte hatten in Anbetracht der mindestens 70.000 friedfertigen Demonstranten den Rückzug vorgeschlagen. SED-Chef Erich Honecker war telefonisch nicht zu erreichen. Der Sekretär für Sicherheitsfragen, Egon Krenz, rief erst zurück, als die Demonstranten den Ring fast umrundet hatten. Auch das Passieren der berüchtigten "Runden Ecke", der Sitz der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit (BVfS), verlief friedlich und ohne Zwischenfälle. "Keine Gewalt" und "Wir sind das Volk" waren die entscheidenden Losungen des Tages. Der befürchtete gewaltsame Einsatz von Seiten des Staates blieb aus. Die 70.000 hatten einen entscheidenden Sieg über das Regime errungen.


Sammlung: Plakatsammlung
Datierung: 09.10.1989
Hersteller: Neues Forum
Maße: Länge: 29,7 cm; Breite: 21 cm
Material: Papier
Farbe: Aufschrift: schwarz,
Blatt: beige
Verwendung: Protest und Demonstrationen, Information








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