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Inventar-Nr: 17483
Objekt: Handzettel


Flugblatt "Es reicht, Herr Diestel! Nein zur alten Stasi! Nein zu neuen Knüppeln und Gewehren!" des Neuen Forums (Demonstrationsaufruf)

Mit diesem [mehrfach kopierten] Flugblatt rief das Neue Forum für den 28. Mai 1990 erneut zu einer "Montagsdemonstration" auf dem Leipziger Karl-Marx-Platz (heute Augustusplatz) auf, um für eine konsequente Aufarbeitung der Verbrechen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sowie ein parlamentarisch gewähltes Aufsichtsgremium für die Stasi-Akten zu demonstrieren. Zu der Demonstration kamen aber nur einige Hundert Leipziger. Jochen Läßig vom Neuen Forum, Vertreter des Bürgerkomitee Leipzig und weitere Redner forderten von Innenminister Peter-Michael Diestel die konsequente Auflösung der Staatssicherheit und den verantwortungsvollen und kontrollierten Umgang mit den Stasi-Akten. Hintergrund für diese Demonstration war ein Ministerratsbeschluss vom 16. Mai 1990 über die weiteren Maßnahmen zur Auflösung des MfS/AfNS.

In diesem Beschluss wurde u.a. geregelt, das alle beim MfS aufbewahrten Akten des Ministeriums für Nationale Verteidigung (MfNV), des Ministeriums des Innern (MdI), der Generalstaatsanwaltschaft und der Militärstaatsanwaltschaft vollständig und umgehend an die benannten staatlichen Stellen zurück zu geben seien. Weiterhin sah der Beschluss die Übernahme des gesamten Schrift- und Archivguts des MfS durch die staatliche Archivverwaltung sowie weit reichende Sperrfristen bzw. die grundsätzliche Sperrung der Stasi-Akten vor. Obwohl geheim gehalten und nur an die Leiter der Bezirksarbeitsstäbe des staatlichen Komitees zur Auflösung des MfS/AfNS übergeben, erfuhr das Bürgerkomitee Leipzig zufällig von dem Beschluss und protestierte an den "Runden Tischen" dagegen. Nicht nur das es seine Arbeit und den Erhalt der Akten bedroht sah (Erinnerungen an die Aktenvernichtung durch die Staatssicherheit im November 1989 waren noch allgegenwärtig) auch die historische Aufarbeitung der Arbeitsweise des MfS wäre durch diesen Beschluss unmöglich geworden. Ab dem 22. Mai 1990 organisierte das Bürgerkomitee daher vor der ehemaligen Stasi-Untersuchungshaftanstalt (UHA) in der Beethovenstraße (heute Straße des 17. Juni 1953) eine Mahnwache und bewachte die Akten dort in den folgenden Wochen im "Drei-Schicht-System" um einen heimlichen Abtransport zu verhindern. In der Zwischenzeit versuchte Innenminister Diestel sogar, den ehemaligen Generaloberst des MfS, Markus Wolf, zur Mitarbeit in der im Ministerratsbeschluss vorgeschriebenen Regierungskommission zu bewegen, was zeigte das unter ihm die konsequente Aufarbeitung der alten Strukturen und Stasi-Verbrechen nicht zu erwarten war. Gleichzeitig lehnte Diestel kategorisch auch jede Form der Einsicht in die Stasi-Akten ab.

Das "Ringen" um die Stasi-Akten hielt weiter an. Zu den drastischsten Mitteln auf die Stasi-Auflöser in Berlin und Leipzig zurückgriffen, um ihren Unmut gegen den geplanten Umgang mit den Akten zum Ausdruck zu bringen, war ein Hungerstreik im September 1990. Erst mit der Verabschiedung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) am 14. November 1991 wurden rechtsverbindliche Regelungen über den weiteren Umgang mit den Unterlagen der Staatssicherheit geschaffen und somit der Weg für die Öffnung der Akten bereitet. Bereits am Tag der Vereinigung (3. Oktober 1990) war Joachim Gauck als erster Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Stasi-Unterlagen ernannt worden.


Sammlung: Plakatsammlung
Datierung: 28.05.1990
Hersteller: Neues Forum
Maße: Breite: 21 cm; Länge: 29,7 cm
Material: Papier
Farbe: Blatt: weiß,
Aufschrift: schwarz
Verwendung: Protest und Demonstrationen, Information








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