Objekt- und Fotodatenbank Online im Museum in der Runden Ecke



Inventar-Nr: 17828
Objekt: Handzettel


Flugblatt mit Programm vom "Statt-Kirchentag" 1989 in Leipzig (Einladung)

Mit diesem ohne staatliche Druckgenehmigung hergestellten Programmzettel luden 1989 verschiedene Basisgruppen, u.a. die Arbeitsgruppe Menschenrechte (AGM) um Pfarrer Christoph Wonneberger, zum "Statt-Kirchentag" in die Lukaskirche in Leipzig-Volkmarsdorf ein. Dieser fand parallel zum offiziellen Kirchentag in Leipzig statt. Die Einladung zu der alternativen Veranstaltung zeigt das breite Themenspektrum, mit dem sich die Teilnehmer auseinandersetzten. Nur wenige Monate vor der institutionellen Gründung einflussreicher Oppositionsgruppen und dem Beginn der Friedlichen Revolution war Leipzig für einige Tage das Zentrum der Oppositionsbewegung in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR).

Vom 6. bis 9. Juli 1989 fand in Leipzig der Evangelische Kongress und Kirchentag der sächsischen Landeskirche statt. Auf staatlichen Druck hin verzichteten die Veranstalter bewusst auf politische Themen. Die Leipziger Oppositionsgruppen organisierten daher aus Protest in der Lukaskirche einen Statt-Kirchentag, an dem etwa 2.500 Personen teilnahmen. Hier trafen sich Oppositionelle aus der ganzen DDR und tauschten sich über die aktuelle Lage sowie über Konzepte und künftige Aktionen aus. Aus dem offiziellen Kirchentagsprogramm als "Trittbrettfahrer" ausgegrenzt, fand die Opposition hier ein wichtiges Podium. Es wurden Fotos von Polizeiaktionen gezeigt, über die zurückliegenden Polizeieinsätze gegen Demonstranten in Leipzig berichtet, Unterschriftensammlungen durchgeführt, Publikationen über die Wahlfälschung im Mai 1989 verteilt und verschiedene Vorträge und Diskussionen durchgeführt. Auch Vertreter bundesdeutscher Menschenrechtsorganisationen, Parteien (u.a. der SPD-Politiker Erhard Eppler) und Medien konnten sich dort erstmals ein umfassendes Bild von den oppositionellen Kräften sowie deren Aktionen und Zielen machen. Durch die Berichterstattung der Westmedien erfuhren auch die DDR-Bürger von der Entwicklung in Leipzig. Trotz der Abgrenzung vertraten die Basisgruppen auch auf den offiziellen Kirchentagsveranstaltungen ihre Position. So wurde am Rande einer Jugendveranstaltung ein Flugblatt mit einem ohne Druckgenehmigung hergestellten Offenen Brief verteilt, in dem verschiedene christliche Arbeitskreise "autorisierte Gesprächsrunden" - gemeint waren "Runde Tische" - forderten. Während der Abschlussveranstaltung des offiziellen Kirchentages auf der Pferderennbahn Scheibenholz organisierten Basisgruppenmitglieder auch eine öffentliche Protestaktion. Sie entrollten Transparente mit den Aufschriften "Nicht noch mal! Wahlbetrug" und "Demokratie", letzteres auf deutsch und chinesisch. Den Versuch, mit den Transparenten auf die Bühne zu gelangen, verhinderten kirchliche Ordnungskräfte. Immer mehr Besucher jedoch schlossen sich der Aktion an und knüpften aus bunten Bändern ein dichtes Netz. Schließlich zogen etwa 800 bis 1.000 Personen auf die Straße und bewegten sich in Richtung Innenstadt. Die Sicherheitskräfte verhinderten die Demonstration nicht. Am Floßplatz entrissen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) den Demonstranten das Transparent und zerrten es in eine Straßenbahn. Den weiteren Weg in die Innenstadt versperrten Polizeiketten. Deshalb zogen die Demonstranten in die nahe gelegene Peterskirche, wo die Aktion mit einer spontanen Andacht ihren Abschluss fand. Aufgrund der Präsenz internationaler Beobachter griffen die Sicherheitskräfte nicht gewaltsam ein.

Durch die Staatssicherheit wurde eigens für den viertägigen Kirchentag, unter dem Decknamen "Aktion Kongreß 89", ein 13-seitiger Maßnahmenplan erstellt, um das Großereignis zu "sichern". Im Auftrag der SED beteiligte sich auch die Blockpartei CDU an der Überwachung des Kirchentages.


Sammlung: Plakatsammlung
Datierung: 07.07.1989-09.07.1989
Hersteller: Arbeitsgruppe Menschenrechte der Lukasgemeinde Leipzig
Maße: Breite: 10,5 cm; Länge: 29,4 cm
Material: Papier
Farbe: Blatt: weiß,
Aufdruck: schwarz,
Aufschrift: blau, grau
Verwendung: Protest und Demonstrationen, Information








IMPRESSUM   |   DRUCKEN