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Inventar-Nr: B02421
Objekt: Samisdat


Samisdatschrift "Die Pleiße"

Anlässlich der Umwelt-Protestaktion "Eine Hoffnung lernt gehen - Pleißepilgerweg 1989" am 4. Juni 1989, brachte der Christliche Arbeitskreis Weltumwelttag das Info-Heft "Die Pleiße" heraus. Mit der Aktion, einem Spaziergang entlang des durch Leipzig fließenden Gewässers, das 1956 wegen seines Gestankes teilweise unter die Erde verlegt wurde, sollte auf die unhaltbare Umweltsituation in der Stadt aufmerksam gemacht werden. Um auch über diesen Tag hinaus eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, entschloss sich der Arbeitskreis zur Herausgabe dieser offiziell nicht genehmigten Samisdatschrift, die offen und fundiert über die ökologische Situation in Leipzig und den katastrophalen Zustand der Pleiße informierte. Pro forma musste das Heft daher als Sonderausgabe der "Streiflichter", dem regelmäßig erscheinenden innerkirchlichen Informationsblatt der Arbeitsgruppe Umweltschutz beim Jugendpfarramt Leipzig erscheinen. Vervielfältigt wurde das 36-seitige Heft in einer Auflage von über 1.000 Exemplaren auf einem Schablonen-Vervielfältiger im Jugendpfarramt. Der Arbeitsaufwand zur Herstellung des Heftes und die Überwindung der technischen Probleme waren erheblich. Heimlich mussten aus dem "Westen" Druckfarbe und Schablonen organisiert werden. Auch die Beschaffung von ca. 40.000 Blatt Papier war in der Mangelwirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ein Problem. Das Titelblatt wurde unter Verwendung einer Grafik des Künstlers Joseph W. Huber gestaltet und im Siebdruck in einer Leipziger Werkstatt hergestellt. Einige "Restexemplare" - wie dieses - erschienen auch mit einem fototechnisch vervielfältigten Titelblatt. Zusammengetragen in einer Privatwohnung wurde das Heft am Ende in einer Leipziger Buchbinderei geheftet und beschnitten. Über den Verkauf des Heftes für 5,00 (DDR-)Mark konnten die privat verauslagten Herstellungskosten wieder eingenommen werden. Das Info-Heft hatte auf die staatlichen Behörden Eindruck gemacht und wurde so ernst genommen, das das Umweltministerium sogar eine interne Gegendarstellung erstellen ließ (vgl. auch weiteren politischen Samisdat).

In der DDR waren die Menschen extremen Umweltbelastungen ausgesetzt. Die täglich erfahrbaren ökologischen Missstände riefen in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre verstärkt Proteste hervor. Vermehrt schrieben Bürger Eingaben oder organisierten sich in unabhängigen Umweltgruppen unter dem Dach der Kirche. Aufgrund des Allmachtsanspruches der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) war jedoch jedes persönliche, staatsunabhängige Engagement für ökologische Belange ein oppositioneller Akt und wurde unterdrückt. Trotzdem erarbeiteten die Umweltgruppen Studien zur Umweltsituation, organisierten Aktionen wie die jährliche kirchliche Veranstaltung "Mobil ohne Auto" oder Baumpflanzungen. Dadurch wuchs ihre Kompetenz. Einige Basisgruppen versuchten bewusst, ökologische Themen zu politisieren. Die erste größere Aktion in Leipzig mit dieser Doppelfunktion war der Pleißemarsch am 5. Juni 1988, dem Weltumwelttag. Trotz Intervention von staatlicher und kirchlicher Seite beteiligten sich etwa 200 Personen an der Aktion und demonstrierten eine Stunde lang entlang des Pleißeufers. Wider Erwarten griffen die Sicherheitskräfte aber nicht ein. Auch 1989 sollte ein Pleißemarsch stattfinden, der aber offiziell verboten wurde. Beim Versuch dennoch auf der Route des geplanten Pilgerweges in die Leipziger Innenstadt zu gelangen wurden 83 Personen festgenommen. Gegen 19 Personen verhängte die Polizei Ordnungsstrafen in einer Gesamthöhe von 7.100 (DDR-)Mark.


Sammlung: Samisdatschriften, kirchliche und Oppositionsblätt
Hersteller: Christlicher Arbeitskreis Weltumwelttag Leipzig
Maße: Länge: 29,5 cm; Breite: 20,9 cm
Material: Bindung: Leinen,
Heftblock: Papier,
Titelblatt: Fotopapier
Farbe: Titelblatt: schwarz-weiß,
Aufdruck: schwarz,
Heftblock: weiß

Autor/Herausgeber: Christlicher Arbeitskreis Weltumwelttag Leipzig
Verlag: Eigenverl.
Erscheinungsjahr: 1989
Erscheinungsort: Leipzig
Auflage: Sonderausg.
Umfang: 36 S. / 18 Bl.
Band: 1












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